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Offener Brief: Wo man mit Blut die Grenze schrieb

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Alexander Van der Bellen!

Den Klubs der slowenischen Student*innen in Kärnten/Koroška, Graz/Gradec und Wien/Dunaj ist zu Ohren gekommen, dass Sie bei der 100-jährigen Jubiläumsfeier der Kärntner Volksabstimmung einen Redebeitrag zu halten gedenken. Hiermit bitten wir Sie, Ihre Teilnahme an der Veranstaltung aus Solidarität mit der slowenischen Volksgruppe in Kärnten/Koroška zu widerrufen.
Heuer wird das 100-jährige Jubiläum der Volksabstimmung/Plebiscit 1920 zelebriert. Jährlich wird die Volksabstimmung/Plebiscit in Kärnten/Koroška am 10. Oktober von einem Teil des Landes hochgepriesen. Vor allem in diesem Jahr erfreut sich der Feiertag besonderer Aufmerksamkeit. Ein Feiertag, an dem der „Sieg in deutscher Nacht“ hochgehalten wird und Chauvinismus sowie Deutschnationalismus induziert werden. Ein Feiertag, an dem der widersprüchliche Umgang mit der Minderheit vertuscht und beschönigt wird. Ein Feiertag, an dem zwischen den Zeilen „der Kärntner spricht Deutsch“ und „Deutschland durften wir nicht sagen, Österreich wollten wir nicht sagen, also sagten wir Kärnten“ geschrieben steht. Ein Feiertag, an dem die slowenische Volksgruppe in Kärnten/Koroška als Dekorationsstück instrumentalisiert wird, um ein harmonisches Miteinander vorzutäuschen.
Ein Feiertag, den wir slowenische Student*innenklubs nicht zu feiern gedenken.

Denn worauf blicken wir in den vergangenen 100 Jahren in Kärnten/Koroška zurück?
Auf mehrere Versuche die slowenische Volksgruppe in Kärnten/Koroška auszulöschen.
Auf die Deportation von mehr als 900 Kärtner Slowen*innen im Jahre 1942.
Auf eine aktive und organisierte Germanisierungspolitik.
Auf eine systematische Diskriminierung der slowenischen Volksgruppe in Kärnten/Koroška und der Steiermark/Štajerska und jegliche Versuche eine gleichwertige und gleichberechtigte Zweisprachigkeit des Landes zu unterbinden.
Auf Geschichtsrevisionismus und die Vermessenheit, die Kärntner Partisan*innen in die Verräter*innenrolle zu drängen. Auf ein tagtägliches Ausweichen des Landes Kärnten/Koroška und der Republik Österreich in Hinsicht auf unerfüllte gesetzlich verankerte Rechte sowie Versprechen gegenüber der slowenischen Volksgruppe.

Hundert Jahre nach der Volksabstimmung/Plebiscit blicken wir einer Dezimierung auf nunmehr 20% der ursprünglichen slowenischsprachigen Bevölkerung in Kärnten/Koroška ins Auge.

Was haben wir somit am 10. Oktober zu feiern?

Der 8. Mai, die Befreiung vom Nazifaschismus und der 26. Oktober, die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages – das sind unsere Festtage.

Volksgruppenrechte machen einen wesentlichen Teil des österreichischen Rechtsstaates aus und sollten aus diesem Grund auch gepflegt werden. Sehr geehrter Herr Bundespräsident, wir warten bereits ein Jahrhundert auf die Erfüllung gesetzlich verankerter Rechte und Versprechen. Wir weigern uns weiter zu schweigen und dem Schönreden den roten Teppich vorzulegen.
In diesem Sinne rufen wir Sie nochmals dazu auf, die Grundsätze der Republik Österreich zu achten und in Solidarität mit uns, nicht an den Feierlichkeiten des 10. Oktobers teilzunehmen.

Klubs der slowenischen Student*innen in Kärnten/Koroška, Graz/Gradec und Wien/Dunaj - KSŠŠK, KSŠŠG, KSŠŠD